Eigenbedarfskündigung erhalten: Muss ich ausziehen?
0 Comments„Ich habe von meinem Vermieter eine Kündigung wegen Eigenbedarf erhalten. Muss ich nun ausziehen? Ich finde doch so schnell keine Wohnung!“
Diese Frage wird mir von Mietern oft gestellt. Sie ist nicht mit einem Satz zu beantworten. Denn wie immer kommt es auf den Einzelfall an.
Eigenbedarfskündigung
Eigenbedarf darf der Vermieter geltend machen, wenn er die Wohnung für sich selbst oder einen Angehörigen benötigt. Liegen die Voraussetzungen für Eigenbedarf vor, darf der Vermieter das Mietverhältnis gem. § 573 BGB mit der gesetzlichen Frist kündigen. Diese beträgt grundsätzlich drei Monate.
Bei Mietverhältnissen, die länger als fünf Jahre bestehen, beträgt die Kündigungsfrist für den Vermieter sechs Monate, ab einer Dauer von acht Jahren ist eine Kündigungsfrist von neun Monaten zu beachten.
Eine wirksame Eigenbedarfskündigung beendet das Mietverhältnis. Der Vermieter kann dann die Räumung und Herausgabe der Wohnung verlangen, denn der Mieter hat nach Ablauf der Kündigungsfrist kein Besitzrecht an der Mietsache mehr: Der Mieter muss also ausziehen.
Widerspruchsrecht
Allerdings kann sich der Mieter gegen die Kündigung wehren. Zunächst hat er das Recht, gegen die Kündigung Widerspruch zu erklären, wenn die Kündigung für ihn eine unzumutbare Härte bedeutet. Das ergibt sich aus § 574 Abs. 1 BGB. Ist der Widerspruch begründet, hat er zur Folge, dass das Mietverhältnis nicht beendet ist, sondern sich auf unbestimmte Zeit verlängert.
Auf sein Widerspruchsrecht muss der Mieter vom Vermieter in der Kündigung hingewiesen werden. Wurde er darüber ordnungsgemäß belehrt, muss der Widerspruch spätestens zwei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist beim Vermieter vorliegen.
Beispiel:
Vermieter V kündigt Mieter M am 1.11.2019 wegen Eigenbedarf. Die Kündigung soll zum 30.04.2020 gelten, da der Mietvertrag mit M bereits vor sieben Jahren geschlossen wurde (Kündigungsfrist also sechs Monate). Im Kündigungsschreiben wird M auf sein Widerspruchsrecht hingewiesen. Ist M der Meinung, dass die Kündigung für ihn eine besondere Härte darstellt, muss er den Widerspruch bis zum 29.02.2020 erklären.
Weist der Vermieter in der Kündigung nicht auf das Widerspruchsrecht hin, gilt diese Frist aber nicht. Der Widerspruch darf dann auch noch zu einem späteren Zeitpunkt erklärt werden – sogar noch in einem Räumungsklageverfahren.
Härtefall
Wann liegt denn nun ein Härtefall vor?
Das Gesetz sagt dazu nichts aus, allerdings haben die Gerichte dazu Kriterien entwickelt, die im Einzelfall herangezogen werden können:
- Der Mieter ist sehr alt, krank und/oder pflegebedürftig und deshalb nicht räumungsfähig
- Der Mieter ist psychisch oder körperlich schwer krank oder gar suizidgefährdet
- Der Mieter hat erhebliche Investitionen in die Mietsache gesteckt, weil er darauf vertrauen durfte, länger in der Wohnung leben zu dürfen
- Der Mieter wohnt schon sehr lange in der Wohnung, ist alt und in dem Viertel verwurzelt („Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“)
- Der Mieter findet aufgrund der Lage auf dem Wohnungsmarkt keinen zumutbaren Ersatzwohnraum
- Die Mieterin ist schwanger und steht kurz vor der Entbindung oder wird kurz nach dem Ablauf der Kündigungsfrist entbinden
- Der Mieter oder seine Familie wird durch einen Ortswechsel erheblich beruflich beeinträchtigt, eine Ausbildung (z.B. Studienabschluss) werden erheblich gefährdet
Der Einzelfall ist entscheidend
Entscheidend ist aber, so hat es der BGH zuletzt in zwei Entscheidungen vom 22.05.2019 präzisiert, immer der Einzelfall. Allgemeine Fallgruppen, etwa ein bestimmtes Alter des Mieters oder eine bestimmte Mietdauer, in denen generell die Interessen einer Partei überwiegen, lassen sich nach Ansicht des BGH nicht bilden.
Beruft sich der Mieter auf einen Härtefall, folgt der Kündigung nicht und verklagt der Vermieter daraufhin den Mieter auf Räumung, muss das Gericht in dem Klageverfahren prüfen, ob ein Härtefall vorliegt. Es muss eine Interessenabwägung vornehmen: Überwiegt das Interesse des Mieters an dem Fortbestand des Mietverhältnisses, das Interesse des Vermieters an der Erlangung des Wohnraums für eigene Zwecke?
Macht der Mieter also etwa gesundheitliche Gründe geltend, die der Vermieter nicht akzeptiert, muss das Gericht im Räumungsklageverfahren genau prüfen, ob dem Mieter negative gesundheitliche Folgen bei einem Umzug drohen (BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 167/17).
Auch ein hohes Alter des Mieters und eine lange Mietdauer rechtfertigen für sich genommen noch keine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB, da sich diese Punkte je nach Persönlichkeit und körperlicher und psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken können (BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18).
Eine schematische Betrachtung ist also nicht möglich. Das über die Räumungsklage entscheidende Amtsgericht muss ggf. ein Gutachten einholen, welches die negativen Folgen eines Umzugs für den Mieter klären muss.
Ergibt die Interessenabwägung, dass ein Härtefall vorliegt und die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses das Erlangungsinteresse des Vermieters überwiegen, weist das Gericht die Räumungsklage ab. Andernfalls gibt es der Klage statt.
Kein Härtefall – was dann?
Kann sich der Mieter nicht auf einen Härtefall berufen, ist damit trotzdem noch nicht gesagt, dass er auch tatsächlich ausziehen muss. Eigenhändig vor die Tür setzen darf der Vermieter ihn nämlich nicht, wenn der Mieter nicht auszieht. Der Vermieter muss stattdessen den Rechtsweg gehen. Er muss Räumungsklage einreichen.
Der Mieter hat grundsätzlich das Recht, den Eigenbedarf zu bestreiten, wenn er dem Vermieter nicht glaubt, dass er die Wohnung selbst benötigt. Denn oft wird Eigenbedarf auch nur vorgeschoben, wenn der Vermieter den Mieter „loswerden“ will. Ebenso oft sind Eigenbedarfskündigungen auch nicht ausreichend begründet – und damit angreifbar.
Folgende Möglichkeiten kommen in der Praxis häufig vor:
- Der Mieter bestreitet den Eigenbedarf
Der Vermieter muss dann vor Gericht beweisen, dass er die Mietsache für sich oder die Bedarfsperson benötigt. Dazu muss das Gericht Beweis erheben, also z.B. durch Zeugenvernehmung oder die Sichtung von Unterlagen.
- Der Mieter bestreitet, dass die Kündigung formell und inhaltlich korrekt ist
Das ist eine Rechtsfrage und das Gericht muss dann prüfen, ob die Kündigung den formellen und materiellen Anforderungen an eine Wirksamkeit genügt.
Kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass der Eigenbedarf nachgewiesen ist und die Kündigung auch formell und inhaltlich nicht zu beanstanden ist, wird es den Mieter zur Räumung der Wohnung verurteilen.
Dem Mieter steht dann aber natürlich das Rechtsmittel der Berufung offen. Legt er Berufung ein, muss sich das Landgericht mit der Klage befassen und prüfen, ob das Amtsgericht rechtsfehlerfrei entschieden hat.
Der Weg durch die Instanzen kann dabei schon einmal zwei Jahre dauern.
Keine Panik – eine Zeit- und Kostenfrage
Eine Eigenbedarfskündigung bedeutet also im Ergebnis nicht, dass der Mieter in Panik verfallen und sofort den Umzug planen muss. Er darf prüfen, ob er einen Härtefall einwenden kann und er darf den Eigenbedarf natürlich auch bestreiten und eine gerichtliche Entscheidung abwarten. Geht er diesen Weg, muss er allerdings immer auch das Kostenrisiko vor Augen haben. Der Verlierer eines solchen Rechtsstreits hat nämlich am Ende die Kosten zu tragen.
Mieter, die über eine Rechtsschutzversicherung für Mietrecht verfügen, sind dann natürlich im Vorteil: Geht der Rechtsstreit für sie negativ aus, werden Sie also zur Räumung verurteilt, trägt die Rechtsschutzversicherung, wenn sie vorher Kostendeckung erteilt hat, alle Kosten.
Es auf eine Klage ankommen zu lassen zu können, bedeutet für den Mieter natürlich einen erheblichen Zeitgewinn. Wenn der Mieter es geschickt anstellt, kann er auch bei begründeter Eigenbedarfskündigung einen Auszug für ein bis zwei Jahre hinauszögern. Das ist für viele Vermieter ein unbefriedigendes Ergebnis. Schließlich benötigt der Vermieter die Wohnung jetzt oder nach Ablauf der Kündigungsfrist – und nicht erst, wenn in zwei Jahren die letzte Instanz entschieden hat.
Der Rechtsweg ist aber trotzdem einzuhalten – eine sog. „kalte Räumung“ stellt verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) dar, gegen die sich der Mieter gerichtlich mit einer einstweiligen Verfügung wehren kann.
Erst wenn der Vermieter eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung erwirkt hat, die den Mieter zur Räumung verurteilt, muss der Mieter also ausziehen. Denn mit einem Räumungstitel kann der Vermieter die Zwangsräumung durch einen Gerichtsvollzieher beauftragen.
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